Liebe Leserin, lieber Leser! Die Spannung und das Ringen um den erostepost-Literaturpreis 2015 sind vorbei, der Preis wurde heuer nicht vergeben. Gesucht waren herausragende Beiträge zum Thema links – rechts, in der Redaktion eingetroffen sind (in Summe erstaunliche wenige, was die Erfahrungen der vergangenen Jahre betrifft …) gute und sehr gute Beiträge, die in dieser Jubiläumsausgabe der erostepost versammelt sind; der Jurybeschluss war daher letzlich einstimmig, die Preissumme in fünf gleich große Anerkennungshonorare zu teilen, auf die Autoren von fünf Einreichungen. Morgenspiel Der Vorhang ist offen. Dahinter der Alltag, das Leben, das ganz normale und das ganz abnormale. Das Leben ist kein Spiel, das Leben ist Theater, mit Szenen, die sich zur Zeit der Nazi-Diktatur abspielen hätten können, mit Szenen, die sich in der Jetztzeit abspielen können. Wir alle sind Teil dieser Szenen und Beobachter zugleich. Publikum. Also … du, du oder auch … du. Publikumsbeschimpfung nach Peter Handke? Oder episches Theater frei nach Bert Brecht? Die Welt ist zu klein geworden für uns Menschen, die Bühnen sind zu klein geworden, Menschen sind auf der Flucht, von allüberallher nach allüberallhin. Was größer geworden ist, ist lediglich der Zuschauerraum, von dem aus wir Menschen eine Welt betrachten, als ginge sie uns nichts an, als gingen uns vor allem die Menschen auf den zu kleinen Bühnen nichts an. Wir bleiben reglos sitzen. Wir haben schließlich bezahlt. Wer zahlt, schafft an. Und bestimmt, wann der Vorhang wieder zugehen soll. Am Ende des Stückes oder mitten im Stück. Zwölf kleine Worte Worte sind kostbar, werden streng kontingentiert. Der Protagonist, ein namenloser Erzähler, hebt sie für seine Liebste auf. Eigentlich ein schöner Gedanke in unserer vernetzten Online-Welt, in der Sprache inflationär gehandelt wird. Tatsächlich wird daraus eine Vision, die sich ins Gegenteil verzerrt und „Wörterüberziehung“ mit Jobverlust und Strafen belegt. Ein ungemütlicher Ort, der mit Strichcodes an den Wänden und Tapeten „vollgeschrieben mit Wörtern“ aufwartet. Nicht links oder rechts wird ausgespielt, vielmehr werden Hell-Dunkel-Kontraste zur Hintergrundstrahlung eines Systems, das skurrilste Nachrichten verbreitet und – wie üblich in Diktaturen – zwischen magisch und manisch pendelt. Unter diesen Umständen beim Radio zu arbeiten, führt nicht nur die Praktiken autoritärer Staaten ad absurdum, macht den Überwachungsstaat zum Witz, sondern Kommunikation per se. Und auch die Liebe muss warten, verheddert sich im Anachronismus einer Telefonschnur, wird verschoben auf bessere Zeiten. Ich habe natürlich sofort mein Gewehr geholt Lohnt sich Beharrlichkeit, oder ist es krude Zentrifugalkraft, die Ideologien zersplittern und die „Theoriekeule“ ins Leere schlagen lässt? Wie soll man miteinander leben, überhaupt leben, Kunst produzieren? Sinnfragen, denen sich der Ich-Erzähler, es könnte sich auch gut um eine Erzählerin handeln, nicht stellen mag, da man sonst „jede Mauer … im Sinne der Fiktion errichtet … zum Einsturz“ bringen könnte. Im Fokus steht die sonderbare Beziehung zu Jakob, sein Kompass spielt verrückt, Realität und Wahn, Krieg und Nähe sind Koordinaten seiner Verortung. Dazu braucht es ein bruchstückhaftes Drehbuch eines Lebens, eine Mischung aus Ungeduld, Clownerie und Selbstgewissheit, Phantastereien über habitable Zonen, weiters eine Obsession für Tiere, eine gewisse Schwarm-intelligenz, und schon gibt es Anlass zu Mythenbildung, vermischt sich das Kuriose mit dem Todernsten, bestimmt eine Ziege den Tagesablauf und noch mehr. Ja, selbst der wehrhafte Ich-Erzähler obliegt der Irrationalität und legt sich achtzehn Ziegen zu, „die jetzt um meinen Schreibtisch rumstehen. Ich denke, so kann man selbst zu Kunst werden …“. Wird eine Geschichte des Scheitern erzählt, hält man als Leser/Leserin lauter lose Enden in Händen. Lässt man also Wirklichkeit zu, oder sind es doch Träume, die ein Schicksal zu erfüllen haben? Unseres radikalen Rotzbengels sozialromantische Reise durchs ideologische Müllsortiment der Geschichte bis an ihr Ende und darüber hinaus „Radikalität ist die Wurzel allen Wohls oder Übels“, so lautet eine Aussage am Ende der Erzählung, die gespickt ist mit kleinen, großartigen Tiraden, und während „wir gemütlich in die Resignation versinken“, führt uns die „sozialromantische Reise unseres radikalen Rotzbengels durchs ideologische Müllsortiment der Geschichte und darüber hinaus“. Der Text wird wohl polarisieren, die Prosa ist als Lyrik lesbar und erhält eine eigene Rhythmik dadurch. Wir können uns einzelne Passagen olfaktorisch und gustatorisch einverleiben: „Wer Äpfel und Birnen über einen Kamm schert, frisiert Obst …“, oder uns ärgern über „ein fester Griff ins Fremdwörterbuch“, was eine eigenständige Verstörung erzeugt. „Das Trockene, auf dem wir sitzen, gerät aus dem Ruder. Auch die gemäßigte Mitte wird zusehends extremer.“ So reist der Bengel mit der Leserin und dem Leser durch die Höhen und Abgründe, durch links und rechts, „und er schwankte fortan festen Schritts zwischen Schizophrenie und Erleuchtung.“ Unpaarig Er hat zwei Töchter und kann eigentlich zufrieden sein, das Rollstuhldilemma ist halt da und das Katerproblem, das schwache Herz, die wiederkehrenden Träume, dass die Töchter weglaufen könnten, sind da. Doch die Töchter sind sparsam, manchmal knausrig, die kleinen Freuden misst er in Schlucken, die eine Tochter besorgt sie ihm in Sechserpacks, einmal pro Woche, wenn er zum Bankomat geschoben wird. „Ich habe meine Bankomatkarte eingesteckt, ja doch Kinder, natürlich habe ich meine Bankomatkarte eingesteckt.“ So endet der Beitrag „Unpaarig“, der Ich-Vater bewegt sich in seinen Ausführungen zwischen Suderei, Fatalismus und Begeisterung immer nur so weit von der Mitte weg, dass er weder links noch rechts ankommt; ein Stück österreichischer Seele scheint beschrieben, Beklemmung mag aufkommen, aber der Humor in dem Text gleicht das auf seine Weise aus, und dann ereignet sich als Draufgabe in der Geschichte die Geschichte mit zwei Unpaaren Schuhen. Margarita Fuchs, Peter Baier-Kreiner, Kurt Wölflingseder

AutorInnen Nummer 50:
Marc Anton Jahn, Mario Wurmitzer, Mathis Zojer, Wilhelm Hengl, Kai Bleifuß, Katja Bohnet, Marcus Kindlinger, Carmen Jaud, Peter Friedrich, Werner Weimar-Mazur, Paula Bersdorf, Ewart Reder, Mario Tomasegoviç