Zombie (Rezension)

Schon der erste Satz verblüfft. Alltägliches, Dinge der realen Welt wie „Auto“, „Rabatt-Bon“, „Mülleimer“ erhalten dadurch Gewicht, weil eine „Hinterbliebene“ davon Gebrauch macht. Sind wir im Bilde? Laut Titel allemal. Aber stimmt das auch? 

In Doris Konradis Zombie-Text geht es um einen ungewöhnlichen Übergangsort zwischen Raum und Zeit, hier entzündet sich auch die Frage nach den Identitäten, wer ist wer im Leben beziehungsweise wer sind wir.

Kongenial spielt die Autorin mit gängigen Sujets, das Auto und das Autofahren werden zum Topos, zur Möglichkeit, von einem Ort zum anderen zu gelangen, um sich ein Stück individuelle Freiheit, sprich Selbstermächtigung, zu sichern. Ein Fährmann ist nicht mehr von Nöten, aber ein „Autobahnklo“. Öffentliche Toiletten sind in Filmen gerne Orte intimer Aussprachen oder auch übler Gewaltszenen. Hier, im Autobahnklo einer Raststätte, begegnet die Ich-Erzählerin ihrer Hinterbliebenen, das heißt einer fremden Frau, die in ihr eine Doppelgängerin, ihre vor einem Monat verstorbene Freundin, sieht. Die Ich-Erzählerin lehnt ihre Avancen entrüstet ab, und wir glauben einen Moment, sie sei tatsächlich lebendig, irgendwie verwechselt, irgendwie ein Irrtum… Wie geht man mit dem Vertrauten um, wenn das Vertraute fremd geworden ist?

Die Autorin inszeniert ein raffiniertes Vexierspiel mit mehreren Lesarten. Gesucht: die andere Frau, die im Spiegel, deren Kontur die Umrisse zweier Figuren ergibt. „Eigentlich waren wir nur ein Bild. Für kurze Zeit zwei Frauen in einem Spiegel, die sich auf dem Autobahnklo die Hände waschen. Es hätte eine Fotografie sein können von jemandem, der es liebt, Alltagsszenen abzulichten. Oder ein Film, bei dem auch das Flackern der Neonröhren zur Geltung kommt.“

Distanz wird eingefordert. Konradi wählt hierfür ein reales Setting aus Film, Kamera und Fotografie. Und wer führt hier Regie? Wie funktioniert diese andere Welt mit ihren eigenen Gesetzen? Wir müssen es glauben: Alles, was im Film Wirklichkeit vorgibt, kann täuschen. Auch die Ich-Erzählerin, die Hinterbliebene, sieht sich als „die Falsche, die Fälschung einer anderen.“ Und weiter: „Wie gut, dass sie gestorben ist, schoss es mir durch den Kopf. Ich hatte große Lust, gehässig zu sein, am liebsten hätte ich die Frau geohrfeigt. Was wollte sie, das ich tat? Ihr kondolieren zu meinem eigenen Tod? In dem Moment wünschte ich, ich wäre wirklich eine Filmfigur. Denen steht es besser, im Klo einer Raststätte herumzustehen und sich die unglücklichen Geschichten anderer Leute anzuhören.“

Konradis souverän erzählter Text läuft zwischen den Zeilen weiter und kommt mit einer Sinnlichkeit und einer jenseitigen Wirklichkeit, die auf berührende Weise auch unsere ist, sehr nahe, ebenso seine Komik. Gewitzt, ja gruselig, ist auch das Eintreffen der anderen Frauen vor dem Spiegel, „eine ganze Busladung“ voller Zombies? Auf das wesenhafte Dasein bezogen, existenziell und doch leichtfüßig, das Horror-Genre pointiert ausgeleuchtet, werden wir mit verschiedenen Zeitschleifen konfrontiert, das unheimlich Ungekannte – sich selbst bereits wie verwandelt sehen – lachend im Blick. 

Margarita Fuchs